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Sale Sale Sale

SALE SALE SALE, Edition Ruine München, Lecture Performance @Wiegand von Hartmann, 2021
Foto: Constanza Meléndez

SALE SALE SALE, Edition Ruine München, Lecture Performance @Wiegand von Hartmann, 2021
Foto: Constanza Meléndez

SALE SALE SALE, Edition Ruine München, Lecture Performance @Wiegand von Hartmann, 2021
Foto: Constanza Meléndez

SALE SALE SALE, Edition Ruine München, Lecture Performance @Wiegand von Hartmann, 2021
Foto: Constanza Meléndez

SALE SALE SALE, Edition Ruine München, Lecture Performance @Wiegand von Hartmann, 2021
Foto: Constanza Meléndez

SALE SALE SALE, Edition Ruine München, Lecture Performance @Wiegand von Hartmann, 2021
Foto: Constanza Meléndez

SALE SALE SALE, Edition Ruine München, Lecture Performance @Wiegand von Hartmann, 2021
Foto: Constanza Meléndez

SALE SALE SALE, Edition Ruine München, Lecture Performance @Wiegand von Hartmann, 2021
Foto: Constanza Meléndez

SALE SALE SALE
Edition Ruine München 2021
Lecture Performance, Ruine München@Wiegand von Hartmann, 2021
mit Donika Kida und Kyrill Constantinides

V
Einem Spielfeld gleich entspannt sich ein Handlungsrahmen für ebendiese Figur – der Frau. Es ist ihre Kulisse, ihre Bühne, die sie als Akteurin belebt. Sie mag das Arbeitsklima, versteht sich ihrer Meinung nach gut mit den Kolleg*innen. Sie ist sehr direkt mit den Kund*innen, verheimlicht ihre persönliche Meinung nie.

MAN
Sie konfrontiert sie ganz offen mit ihren Standpunkten. Sie sollen besser die Finger von diesem oder jenem Kleidungsstück lassen, erklärt eindrücklich, dass das absolut nicht ihre Farbe sei, oder welchem Jahreszeitentyp sie entsprechen.

FACILITY MANAGER
Vermutlich motiviert sie die Personen zum Nichtkauf.

V
Überhaupt das Ein- und Austreten, das Hindurch-Diffundieren zwischen Hauswand und Fensterfront passiert immer seltener. Mal ist es das fehlende Geld, mal sind es die Temperaturen, oder andere Bemühungen das Interesse zu stimulieren, die nicht recht überzeugen wollen.

FACILITY MANAGER
Ein anderer Grund ist die Tatsache, dass viele der Kund*innen selbst zu Verkäufer*innen in diesem Laden geworden sind. Durch ihr Anprobieren, Diskutieren, Tratschen und gelegentlich auch Verkaufen, erklären sie [durch ihr Zusammenkommen], diesen überhaupt zu einem „Ort“.

V
Sie sind ihre eigenen besten Kund*innen, sie investieren ihren Lohn oft in Kleidungsstücke und Accessoires, als das „Aushängeschild“ des Ladens. Durch das stete Changieren zwischen den Rollen vor und hinter der Theke, sind sie es auch, die das Überleben des Geschäftes sichern. Sehe ich nun geschlossene Ladentüren, schöne Auslagen, Sale oder Prozentschilder so muss ich daran zurückdenken.

MAN
Spatial practice. Und nun erste Versuche dieser Praxis in der Umgebung des Kunstraumes nachzuspüren. Durch methodisches Beobachten und Immer-Wieder-Aufsuchen bestimmter Einzelhandelsgeschäfte im Umkreis der Unterkunft. Um auf bekannte Gesichter zu stoßen. Um endlich miteinander ins Gespräch kommen.
V
Es ist fast unmöglich sich wirklich auszutauschen über die aktuellen Bedingungen des Zusammenkommens, des Verkaufs, des nicht-vorhandenen Kaufinteresses. Dabei geht es doch um das Verstehen des Gefüges, der Kulisse.

FACILITY MANAGER
Wie funktioniert das alles? Für Sie.

[...]
MAN zu sich
Ich denke an Lucy – so hieß die einzige Schaufensterpuppe in unserem Geschäft. Lucy saß konsequent mit übereinander geschlagenen Beinen im Eckfenster. Sie war kein Cyberquin.
Das machte es besonders schwer sie anzukleiden. Sie trug ihre Haare mal kurz, mal lang. Schwarz lang, rot gewellt oder goldblond dünn und lang. Echthaar. Ihr fehlte aber stets die rechte Hand, weshalb sie immer Handschuhe trug, auch im Sommer, damit die Passant*innen den Verfall nicht bemerkten.

V
Ich erinnere mich. Sie bekam irgendwann eine Ersatzhand, nur war diese kleiner. Sie (zeigt zur Figur) klebte Pflaster um ihre Finger um das Volumen zu vergrößern.

MAN
Ich fing an ihr Lippenstift aufzutragen um von den Händen abzulenken.

FACILITY MANAGER legt S, der Schaufensterfigur ein Schild mit „SALE“ in die Hand

MAN sieht das Schild.
Nun ja. Wir schließen. Alles muss raus. Die Auslagen stauben ein, den Perücken gehen die Haare aus. Die Kartons weichen auf. Der Verkaufsraum löst sich auf. Es bleibt ein Skelett aus Metallrohren und irgendwo eine dunkle Öffnung.
Ich wollte Lucy retten. Doch sie war schon verschwunden.

FACILITY MANAGER
Ich kann da auch nichts machen. Ich schalte morgens das Licht an. Gehe durch die Gänge, kehre, aber es klärt sich nichts. Der Staub klumpt und weht. Ich tausche alte Birnen aus, bringe die leeren Müllsäcke weg, stelle Schilder auf. Klebe Pfeile in alle Richtungen.
[Auszug aus SALE SALE SALE]

Die Arbeit an dem Skript Sale Sale Sale begann während eines Residency-Aufenthaltes im Florida in München im Oktober 2020. Ausgangspunkt dieser künstlerischen Forschung ist die Verkäuferin im Einzelhandel. Alltägliche Beobachtungen, Gesprächsfragmente, autobiographische und theoretische Aspekte mündeten ebenso in die Recherche und Textarbeit, wie historische Betrachtungen der sogenannten „Saleswoman“. Das Skript eröffnet einen Verhandlungsraum für die sich in einer Krise befindenden und erdachten ProtagonistInnen, gleichsam in Erinnerung und im Spiel um den Verkaufsraum entziehen sie sich zunehmend der Ausverkaufslogik und deuten diese für sich entsprechend um.

Gerade in pandemischen Zeiten sieht sich der Einzelhandel nun besonders mit einem Wandel konfrontiert. „Alles muss raus“ wird hierbei als Programmatik verstanden um die historischen Zuschreibungen auf etablierte Rollenverhältnisse im Spiel von Kauf und Verkauf endgültig zu verlassen. Ausgehend von Gesprächen mit Verkäuferinnen an ihrem Arbeitsplatz in der Umgebung des städtischen Kunstraumes ist ein Skript zur performativen Umsetzung entstanden. Darin sind neben den Textfragmenten aus den Gesprächen, eine Interpretation einer Szene aus dem Theaterstück Illatszertár (1937) von Miklós László zu finden, welches als Screwballadaption in der Zeit der Great Depression besondere Aufmerksamkeit erlangte, sowie autobiographische und theoretische Aspekte darin zu finden. Die Textarbeit dekonstruiert mit dramatisierenden Mitteln die geschlechtsspezifischen Zuschreibungen, denen sich die Saleswoman im Einzelhandel konfrontiert sieht. Dabei dient die Materialität des Einzelhandels einerseits als Bühne für das Aufzeigen von Machtverhältnissen, andererseits eröffnet es in ihrer künstlersichen Bearbeitung auch einen Raum für mögliche Ermächtigungsstrategien. Zudem wird die Frage verhandelt wie gebaute Architekturen einen körperlichen Bezug herstellen und unser individuelles Verhältnis zu einem Raum formen.

Vielen Dank an HammannVMier Verlag, Ruine München.
Order: HammannVMier
17 x 24 cm, 24 pages, digital print, stapled, with fashion tag, language is German
ISBN: 978-3-947250-38-7
12,00 Euro
Limited edition of 70

Siehe auch: Ruine München